Satzung 102226 1035440 4X5 Aufgeschlagenes Buch

Rechtspolitisches Papier 2022

1. Wert der Verfassung als Grundlage der Demokratie

Das Grundgesetz und die Sächsische Verfassung sind die Grundlagen unserer rechtlichen Ordnung und unseres Zusammenlebens. Die Verfassung als Rechtsnorm stellt im demokratischen Rechtsstaat nicht nur die ranghöchste Norm dar; sie gibt die Rahmenbedingungen dafür vor, in welchem Zustand der Staat sein soll. Zwar ist eine Verfassung kein starres Gebilde, das sich der Verfassungswirklichkeit und dem gesellschaftlichen Wandel verschließt. Sie darf jedoch nicht der Beliebigkeit preisgegeben werden. Verfassungsänderungen unterliegen nicht nur rechtlicher Hürden, sondern müssen politisch wohlüberlegt sein und dürfen nicht vorschnell ohne sorgfältige Abwägung ihrer langfristigen Konsequenzen erfolgen.

Die Beständigkeit der Verfassung ist eine wichtige Orientierungshilfe für das politische System. Dort wo die Politik ihr Handeln an Leitplanken ausrichtet, die wie eine Verfassung einem breiten gesellschaftlichen Konsens unterliegen, stärkt sie zugleich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik. Das gilt auch in Krisenzeiten. Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie dürfen mit Blick auf die betroffenen Grundrechte nur mit Augenmaß getroffen werden.

Die Einfügung von selbständigen Kinderrechten in das Grundgesetz lehnen wir ab. Kinder sind grundrechtsfähig und genießen umfassenden Grundrechtsschutz, was das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung anerkennt und weiterentwickelt, wie die Statuierung eines Rechts auf schulische Bildung durch den Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 (1 BvR 971/21, - Bundesnotbremse II -) verdeutlicht. Eine Abbildung dieses Verfassungszustandes im Normtext bringt keinerlei Mehrwert, sondern führt zu neuen Problemlagen. Weitgehende Kindergrundrechte gefährden langfristig das in Art. 6 Abs. 2 GG, Art. 22 Abs. 3, Art. 101 Abs. 2 SächsVerf garantierte Recht der Eltern zur eigenverantwortlichen Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Individualrecht und Institutsgarantie, das mit bestehenden Grundrechten der Kinder in einen gerechten Ausgleich zu bringen ist. Über Umwege können weitgehende Kindergrundrechte einem als Sachwalter tätig werdenden Staat Eingriffe in den geschützten Bereich der Familie ermöglichen, die über sein Wächteramt in der bisherigen Ausgestaltung gemäß Art. 6 Abs. 2 GG, Art. 22 Abs. 3 Satz 2 SächsVerf hinausgehen.

Der LACDJ Sachsen spricht sich gegen eine Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre aus. Ein über Jahrzehnte bewährtes Wahlrecht darf nicht aus Gründen des Stimmenfangs bei jungen Menschen vorschnell aufgegeben werden. Es besteht keine Veranlassung, an den Eintritt von Volljährigkeit in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Wirkungen zu knüpfen. Die Wahlrechtsfähigkeit geringer anzusetzen als die Geschäftsfähigkeit, wird der Bedeutung der Wahl als elementares demokratisches Mitwirkungsrecht nicht gerecht.

2. Vielfalt und Chancengleichheit

Der gesellschaftliche Wandel hat unsere Gesellschaft vielfältiger gemacht. Das verdient Anerkennung. Jeder Mensch soll die gleichen Chancen haben, soweit es das Grundgesetz zulässt.

Die Ausübung von Staatsgewalt geht vom deutschen Volk aus (Art. 20 Abs. 2, Art. 79 Abs. 3, Art. 116 GG, Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 1 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf). Der Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 91 Abs. 2 SächsVerf) und zu den Parlamenten (Art. 38 GG, Art. 4 SächsVerf) ist Deutschen vorbehalten. Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union haben, sind bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden wahlberechtigt (Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG). Eine Aufweichung dieser Prinzipien lehnen wir ab.

Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht vorschnell vergeben werden. Einer Einbürgerung nach drei oder fünf Jahren, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, stehen wir kritisch gegenüber. Die Zugehörigkeit zum Staatsvolk darf nicht verschenkt werden, sondern muss an den Willen zur Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und Akzeptanz ihrer fundamentalen Verfassungswerte geknüpft werden.

Diversität an sich hat keinen Verfassungsrang. Öffentliche Ämter dürfen nicht nach Geschlecht, Abstammung, Ethnie, Sprache, Herkunft, Glauben und religiöser oder politischer Anschauungen zugeteilt werden, sondern ausschließlich nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 91 Abs. 2 SächsVerf). Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 39 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf), und nicht einer bestimmten Gruppe. Beamtinnen und Beamte vollziehen das Recht aufgrund einer Legitimation durch das gesamte Staatsvolk (Art. 20 Abs. 2 GG, Art. 3 Abs. 1 SächsVerf) und nicht aufgrund einer Identität, die sich aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ergibt. Das gilt ebenso für Richterinnen und Richter; sie urteilen im Namen des gesamten Volkes.

Eine „Diversity-Strategie“, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, lehnen wir ab. Identitätspolitik, die eine Stärkung des gesellschaftlichen Einflusses von Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten kulturellen, ethnischen, sozialen oder sexuellen Identität unter Zurückdrängung des Einflusses von Menschen, die eine solche Identität nicht besitzen, zum Ziel hat, ist ein Irrweg und spaltet die Gesellschaft, statt zu verbinden. Teilhabe darf nicht von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe abhängen, sondern muss allen Menschen offenstehen. Nur so wird man dem Ideal einer diskriminierungsfreien Gesellschaft gerecht.

Angebliche „strukturelle Nachteile“ bestimmter Gruppen dürfen nicht dadurch ausgeglichen werden, dass einzelne ihrer Mitglieder bevorzugt behandelt werden. Nachteilsausgleich darf nicht zu einer Diskriminierung von Menschen führen, die keiner benachteiligten Gruppe angehören.

Individuelle Nachteile von Menschen mit Behinderung sind auszugleichen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 7 Abs. 2 SächsVerf). Mütter stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung (Art. 6 Abs. 4 GG, Art. 22 Abs. 5 SächsVerf).

Mehrheiten haben die Rechte von Minderheiten zu achten und zu schützen. Das gilt insbesondere für die im Freistaat Sachsen lebenden Sorben und Sorbinnen (vgl. Art. 6 SächsVerf).

Eine Verteilung öffentlicher Ämter nach Herkunft sieht der in Art. 36 Abs. 1 Satz 1 GG normierte Grundsatz der proportionalen föderalen Parität vor. 32 Jahre nach der deutschen Einheit sind Sächsinnen und Sachsen noch nicht hinreichend in der Bundesverwaltung, insbesondere in gehobenen Positionen vertreten. Gleiches gilt für die Besetzung der Bundesgerichte. Der LACDJ Sachsen setzt sich dafür ein, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen.

Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen muss mit Hilfe des Staates durchgesetzt werden; bestehende Nachteile zwischen den Geschlechtern sind zu beseitigen. Gleichstellungspolitik muss auf die Herstellung von faktischer Chancengleichheit gerichtet sein, nicht auf Erfolgsgleichheit. Gelungene Gleichstellung lässt sich nicht nur an Zahlen messen, sondern muss individuelle Wünsche, Neigungen und Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen.

Gleichstellungspolitik darf nicht dazu führen, den Menschen und insbesondere den Familien dem Zeitgeist unterworfene Lebensmodelle aufzuzwingen. Die Familie ist genuine Keimzelle der Gesellschaft. Die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie kann nur von den Familienmitgliedern selbst geregelt werden; staatliche Einmischung darf es in diesem Bereich nicht geben. Die Entscheidung darüber, ob einer individuellen, insbesondere nicht an Karrierechancen orientierten Lebensplanung der Vorzug zu geben ist, muss den Menschen selbst überlassen bleiben. Der Geringschätzung der eigenverantwortlichen Entfaltung im Familienleben ist entgegenzutreten.

3. Recht und Gerechtigkeit

Die Herstellung von Gerechtigkeit ist oberstes Ziel politischen Handelns; das Recht dient der Verwirklichung dieses Ziels. Zur Durchsetzung von Recht bedarf es einer starken, den demokratischen Rechtsstaat sichernden dritten Staatsgewalt.

Der LACDJ Sachsen setzt sich für eine leistungsstarke und leistungsfähige sächsische Justiz ein.

Justizpolitik darf nicht auf Kosten anderer Politikbereiche geschwächt werden. Für einen starken Rechtsstaat ist ein starkes Justizministerium notwendig, das sich auf die Justiz als seine Kernaufgabe konzentriert.

  • a) Stärkung der Gerichte und Staatsanwaltschaften

Die Verfahrenszeiten an sächsischen Gerichten sind - zumindest in Teilbereichen - immer noch zu lang, insbesondere im Strafrecht. Richterinnen und Richter dürfen mit teilweise unerträglich hohen Beständen an (Alt-)Verfahren nicht alleingelassen, sondern müssen - soweit möglich - unterstützt werden. Vor dem Hintergrund der in Art. 97 GG, Art. 77 Abs. 2 SächsVerf statuierten richterlichen Unabhängigkeit verbietet sich eine Einflussnahme der Politik auf die Arbeitsweise von Richterinnen und Richtern genauso wie auf die richterliche Geschäftsverteilung.

Dem Staat verbleibt es daher, den Rahmen zu schaffen, damit die Gerichte die anfallenden Verfahren in angemessener Zeit bewältigen können. Hierzu gehört insbesondere eine ausreichend starke personelle Ausstattung der sächsischen Gerichte.

Die Besetzung der sächsischen Gerichte und Staatsanwaltschaften darf nicht hinter dem nach Pebb§y zu berechnenden Personalbedarf zurückbleiben. Der LACDJ Sachsen setzt sich für eine verbindliche Pebb§y-Besetzungsquote von 100 % ein.

Vor dem Hintergrund, dass in den nächsten zehn Jahren ein hoher Anteil von Richterinnen und Richtern pensioniert wird, ergeben sich besondere Herausforderungen für die Justizpolitik. Der anstehende Generationenwechsel in der sächsischen Justiz muss mit Weitsicht angegangen werden, um für die Zukunft eine ausgewogene Altersstruktur bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften zu schaffen. Vorgezogene Neueinstellungen glätten auf lange Sicht nicht nur Unebenheiten in der Altersstruktur, sondern wirken sich auch positiv auf altersbedingte strukturelle Leistungsdefizite aus. Sie können krankheitsbedingte Ausfälle von Kolleginnen und Kollegen ausgleichen, die mit zunehmendem Alter vermehrt auftreten und bei der Personalbedarfsberechnung nicht immer hinreichend abgebildet werden.

Eine leistungsfähige Justiz bedarf eines starken personellen Unterbaus. Wachtmeisterinnen und Wachtmeister, Justizsekretärinnen und Justizsekretäre, Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger sind für eine funktionierende dritte Gewalt genauso wichtig wie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter. Auch in diesen Bereichen darf die Besetzung nicht hinter dem nach Pebb§y zu berechnenden Personalbedarf zurückbleiben.

  • b) Besondere Stellung der Staatsanwaltschaften

Staatsanwaltschaften und Gerichte erfüllen gemeinsam die Aufgabe der Justizgewährung. Im Gegensatz zu Richterinnen und Richtern (Art. 97 GG, Art. 77 Abs. 2 SächsVerf) wird Staatsanwältinnen und Staatsanwälten von der Verfassung keine Unabhängigkeit zugeschrieben. Staatsanwaltschaften unterliegen dem (einfachgesetzlichen) allgemeinen Weisungsrecht des Justizministeriums gemäß § 147 Nr. 2 GVG.

Die jüngere Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Haftbefehl (Urteil vom 27. Mai 2019, Az. C-508/18) gibt keinen Anlass, den Staatsanwaltschaften weitgehende Unabhängigkeit einzuräumen. Soweit für die europäische Rechtshilfe das Handeln unabhängiger Justizbehörden erforderlich ist, müssen die Aufgaben durch deutsche Gerichte wahrgenommen werden.

Staatsanwaltschaften sind Teil der Exekutive und unterliegen daher der mittelbaren demokratischen Kontrolle durch die Parlamente über die Justizministerien. Das durch den Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 GG, Art. 3 Abs. 1 SächsVerf) demokratisch gebundene Legitimationsniveau darf nicht unterschritten werden; es dient der Vermeidung von Einflussknicken und demokratischen Legitimationsdefiziten.

Im Hinblick auf die besondere Stellung der Staatsanwaltschaften ist das ministerielle Weisungsrecht schonend auszuüben. Förmliche Weisungen der Justizministerinnen und Justizminister sind nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig. Sie unterliegen dem Legalitätsprinzip, dürfen nicht politisch motiviert sein und sind gegenüber dem Parlament zu verantworten.

Der LACDJ Sachsen spricht sich für die Einführung eines Richtervorbehalts zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe aus, deren Anordnung bislang der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde obliegt (§ 459e Abs. 1 StPO).

  • c) Modernisierung und Digitalisierung der Justiz

Der digitale Wandel in der Gesellschaft macht vor Gerichten und Staatsanwaltschaften keinen Halt. Die Justiz muss sich den damit verbundenen Herausforderungen stellen und darf im Hinblick auf den Fortschritt der Digitalisierung nicht hinter anderen Bereichen zurückstehen, insbesondere nicht gegenüber der Wirtschaft und der Anwaltschaft.

Die Einführung der E-Akte ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Um ihren Erfolg abzusichern, muss die Justiz auf bestmögliche digitale Ausstattung und umfassende Schulung ihrer Bediensteten setzen. Ebenso sind die Möglichkeiten des Einsatzes intelligenter Systeme in den Blick zu nehmen.

Die Digitalisierung der Justiz kann nicht ohne die Menschen erfolgen, die in der Justiz tätig sind. Sie müssen mitgenommen werden.

Der LACDJ Sachsen setzt sich dafür ein, sächsische Gerichte bestmöglich digital auszustatten. Die Möglichkeit von Onlineverhandlungen, wie sie § 128a ZPO, § 102a VwGO, § 91 FGO für den Zivil-, Verwaltungs- und Finanzprozess vorsehen, darf nicht nur auf dem Papier bestehen. Onlineprozesse müssen auch praktisch durchführbar sein.

Strafverhandlungen unterliegen Besonderheiten. Die Pflicht zur Wahrheitsfindung geht einher mit der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. In besonders gelagerten Ausnahmefällen muss es auch im Strafprozess möglich sein, Zeugen und Sachverständige per Bild und Ton der Verhandlung zuzuschalten. Wenn schon jetzt die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen unter bestimmten Voraussetzungen durch Verlesung von Vernehmungsprotokollen oder schriftlichen Erklärungen ersetzt werden kann (§ 251 Abs. 1, 2 StPO), muss in diesen Fällen erst recht eine Videovernehmung des Zeugen oder Sachverständigen möglich sein. Gleiches gilt im Beweisantragsrecht: Wo ein Antrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen (§ 244 Abs. 5 Satz 2 StPO) oder eines unerreichbaren Beweismittels (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 5 StPO) abgelehnt werden kann, muss zum Zwecke der Aufklärung erst recht dessen Onlinevernehmung möglich sein. Ein online der Hauptverhandlung zugeschalteter Zeuge oder Sachverständiger ist immer noch besser als einer, der der Verhandlung nicht oder nur per Verlesung seiner Vernehmungsniederschrift zur Verfügung steht. Der geringere Beweiswert von Online-Aussagen ist bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.

4. Rechtspolitische Herausforderungen in Zeiten einer Pandemie

Während der Corona-Pandemie getroffene Maßnahmen müssen rechtlich und politisch aufgearbeitet werden. Dabei werden ausstehende Entscheidungen von Gerichten, die bislang meist nur in Eilverfahren tätig geworden sind, zu berücksichtigen sein.

Aus Sicht des LACDJ Sachsen war die Corona-Politik von Bund und Ländern nicht immer an klaren Zielen orientiert. Corona-Maßnahmen wurden mitunter ohne das erforderliche Augenmaß getroffen; sie haben der schulischen Bildung unserer Kinder geschadet, psychische Krankheiten hervorgerufen oder verstärkt, wirtschaftliche Schäden verursacht und gesellschaftliche Risse herbeigeführt. Um für den weiteren Verlauf der Pandemie und für künftige Gefährdungslagen gerüstet zu sein, gilt es die Gesundheitspolitik der letzten zwei Jahre kritisch zu beleuchten und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.

5. Rechtspolitik und Europa

Eine starke Europäische Union ist zur Bewältigung der anstehenden wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen unverzichtbar. Sie ist ein unerlässlicher Faktor, um auf dem Gebiet ihrer Mitgliedstaaten dauerhaft Frieden und Wohlstand zu sichern. Einen Austritt von Mitgliedstaaten gilt es zu verhindern; es darf keinen zweiten (Br-)Exit geben. Hierzu ist es notwendig, das Vertrauen der EU-Bürgerinnen und -Bürger in die europäischen Institutionen zu kräftigen. Verlorengegangenes Vertrauen gilt es wiederzugewinnen.

Eine starke EU kann es nur mit starken Mitgliedstaaten geben. Die fortschreitende Inanspruchnahme von (vertraglich vorgesehenen) Zuständigkeiten durch die Union darf nur mit Bedacht erfolgen. Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass grundlegende politische Entscheidungen überwiegend von Brüssel aus getroffen werden und ihr - durch das Wahlrecht gemäß § 38 Abs. 2 GG, Art. 4 Abs. 2 SächsVerf gesicherter - Anspruch auf politische Teilhabe zunehmend an Gewicht verliert. Subsidiarität darf es nicht nur auf dem Papier geben (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 5 Abs. 1 EUV), sondern muss von der Union und ihren Mitgliedstaaten gelebt werden.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB (Urteil vom 5. Mai 2020, - 2 BvR 859/15 -), das zu einem mittlerweile eingestellten Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland führte, hat gezeigt, dass sich Konflikte um die Auslegung von EU-Recht zwischen nationalen Gerichten und dem EuGH nicht immer verhindern lassen.

Um in Zukunft derartige Kompetenzkonflikte zu vermeiden und zugleich das Subsidiaritätsprinzip zu stärken, bietet sich die Schaffung eines europäischen Subsidiaritäts- und Kompetenzgerichts an, das aus Mitgliedern der Verfassungsgerichte der europäischen Mitgliedstaaten besteht. Der Rahmen für ein solches Gericht kann durch eine Änderung von EUV und AEUV geschaffen werden.

Zu den Werten der Union gehören insbesondere die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (Art. 2 EUV). Mitgliedstaaten der EU können auf Dauer nur Länder sein, deren Regierungen diese Werte verinnerlichen und umsetzen. Im Hinblick auf die rechtsstaatlichen Defizite in Polen steht Sachsen als Nachbarland in besonderer Verantwortung, die es im Rahmen der regionalen Zusammenarbeit wahrnehmen kann.

Die Errichtung eines europäischen Bundesstaates - der mit der Beendigung der eigenen Staatlichkeit der Mitgliedstaaten einherginge und mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbar wäre - lehnen wir ab.